Die Bad Dübener Bürgermeisterin Astrid Münster (48, FWG) hat sich bereits gegen Corona impfen lassen. Laut Impf-Verordnung wäre sie noch lange nicht an der Reihe gewesen. Ein anonymer Brief von Awo-Mitarbeitern war Anlass nachzuhaken. Der Geschäftsführer des Awo-Kreisverbandes steht ebenfalls in der Kritik.
Bad Düben
Bürgermeisterin Astrid Münster (48, FWG) ist wenige Tage vor der Wahl mit schweren Vorwürfen konfrontiert. An diesem Donnerstag erreichte die LVZ ein anonymer Brief von Awo-Mitarbeitern aus dem Pflegebereich in Bad Düben. Die behaupten, dass die Bürgermeisterin von Bad Düben vorzeitig gegen das Coronavirus geimpft worden sei – und zwar am 18. Januar und am 8. Februar. Neben Münster sollen auch Rosmarie Lange (73), die ehemalige Geschäftsführerin der Awo Nordsachsen, deren Lebenspartner und weitere Personen die Impfungen erhalten haben.
Noch nicht berechtigt
Münster ist seit 14 Jahren Bürgermeisterin der Kurstadt, steht an diesem Sonntag als einzige Kandidatin erneut zur Wahl. Die 48-Jährige gehört jedoch nicht zu der Gruppe von Menschen, die laut Coronavirus-Impfverordnung zuallererst Anspruch auf eine Impfung haben (höchste Priorität), auch die ehemalige, 73 Jahre alte Awo-Chefin nicht. Sie wäre in der zweiten Etappe im Frühling dran.
Das sagt Astrid Münster
Münster erklärt dazu, sie sei angerufen worden mit der Frage, ob sie sich impfen lassen würde und in der nächsten halben Stunde in das Pflegeheim der Awo kommen könne. „In dem Gespräch hat man mir auf Nachfrage erklärt, dass mehrere Impfdosen übrig sind und verimpft werden müssten. Im Pflegeheim warteten mehrere weitere kurzfristig angerufene Personen, darunter Physiotherapeuten und auch ältere wie auch deutlich jüngere Personen als ich. Ich habe mich ausdrücklich danach erkundigt, dass alle Berechtigten des Pflegeheimes, das Personal und Bewohner des betreuten Wohnens, die die Impfung wollten, auch wirklich geimpft worden sind. Dies wurde mir bestätigt. Es konnten wohl aufgrund des Geschicks einer Schwester oft sieben statt nur sechs Impfdosen aufgezogen werden. Das hat man mir erklärt. Deshalb habe man angefangen, rumzutelefonieren, um die übrigen Dosen zu verimpfen. Dabei sind die niedergelassenen Ärzte, Physiotherapeuten zuerst angerufen worden. Dennoch hatte man weitere Dosen übrig, sodass man auch mich kontaktiert hat“, sagt Münster.
Nach den Veröffentlichungen zu den „vorgezogenen“ Impfungen habe sie mitgeteilt, dass sie die zweite Impfung eigentlich nicht mehr wünsche. Aber wiederum seien sieben Impfdosen übrig gewesen, sodass sie auf Anruf hin auch die zweite Impfung machen ließ.
Moralische Bedenken?
„Ganz ehrlich, bei der ersten Impfung hatte ich kein schlechtes Gewissen. Ich bin ganz offen damit umgegangen und habe auch in meinem beruflichen wie privaten Umfeld von der Impfung erzählt. Ich war so naiv zu glauben, dass ich zeigen kann, die Impfung ist nicht schlimm. Ich vertraue auf die Zulassungsbehörden. Ich habe auch nicht daran gedacht, dass ich jemandem etwas wegnehme, wenn es ohnehin vernichtet werden würde“, antwortet die Bürgermeisterin.
Es war falsch
Heute wisse sie: „Ja, es war falsch, auf das Angebot einzugehen. Ich hätte es ablehnen müssen. Es tut mir leid, dass ich nunmehr viele in Bad Düben enttäuscht habe. Ich habe mich nicht vorgedrängelt, aber es war dumm und naiv. Es tut mir leid, dass ich einen Fehler gemacht habe, ich schäme mich dafür.“
Auswirkungen auf die Wahl am Sonntag?
Sie denke, dass es Bad Dübener gibt, die ihre Enttäuschung auch bei der Wahl zum Ausdruck bringen werden. Sie hoffe aber, dass 14 Jahre überwiegend gute Arbeit wegen dieses Fehlers nicht ganz vergessen werden.
Geschäftsführer des Awo-Kreisverbandes ebenfalls in der Kritik
In die Kritik ist auch Marko Schreiber (41) geraten, der Geschäftsführer des Awo-Kreisverbandes Nordsachsen. Die Awo unterhält in Bad Düben unter anderem ein Altenheim und eine Anlage für betreutes Wohnen. Schreiber soll nach Angaben von Mitarbeitern des Pflegeteams „zusätzliche Impfdosen für diesen Personenkreis (also unter anderem die Bürgermeisterin, Anm. der Red.) bestellt“ haben, geht aus dem Brief der Awo-Mitarbeiter hervor. „Wir möchten betonen, in unserer kleinen Stadt gibt es einige über 80-Jährige, die Awo-Mitglied sind, aber keine Heimbewohner und bisher vergeblich auf einen Impftermin gewartet haben. Eine rechtzeitige Nachricht und rechtzeitige Abholung zur Impfung wäre machbar gewesen, damit keine Impfdosen verfallen.“
Keine zusätzlichen Impfdosen bestellt
Marko Schreiber räumt ein, dass die Impfungen so stattfanden, wie es in dem anonymen Schreiben steht und geht in die Offensive: Auch er habe sich an diesem Tag impfen lassen. In einem Punkt widerspricht er jedoch energisch: „Der Vorwurf, ich hätte zusätzliche Impfdosen bestellt, stimmt nicht.“ Den Impfstoff habe die Heimleitung bestellt – und zwar ausschließlich für die Heimbewohner und das Personal.
Impfstoff übrig
Am Impftag war dann Impfstoff übrig, weil Heimbewohner, die geimpft werden sollten, zwischenzeitlich ins Krankenhaus kamen und Pflegepersonal, das sich erst impfen lassen wollte, einen Rückzieher machte. „Man hat uns dann gebeten, nach Leuten zu suchen, die sich noch impfen lassen wollen. Ansonsten wäre der Impfstoff verfallen. Da war Eile geboten.“
Die Awo-Mitarbeiter, die namentlich nicht in Erscheinung treten wollen, drücken mit ihrem anonymen Schreiben indirekt ihre Empörung über das Vorgehen aus. Sie haben täglich mit alten Menschen zu tun, die sich offenbar nichts sehnlicher wünschen, als endlich einen Impftermin zu erhalten, um vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus geschützt zu sein.
Impfbereitschaft beim Personal unter 30 Prozent
Dass sich Marko Schreiber selber hat impfen lassen, hält er indes für richtig, schließlich sei auch er regelmäßig im Heim und könne so Schutz bieten. Außerdem wollte er Vorbild für die Mitarbeiter im Pflegebereich sein. „Ich habe immer für das Impfen geworben. Leider liegt die Impfbereitschaft bei unserem Personal unter 30 Prozent. Und da wollte ich ein Zeichen setzen.“ Ebenso richtig hält er das Vorgehen, die ehemalige Awo-Chefin und ihren Lebenspartner impfen zu lassen, da die sich ehrenamtlich bei der Awo engagieren. Lange ist als stellvertretende Vorsitzende des Awo-Kreisverbandes Nordsachsen aktiv. Bei den anderen genannten Bürgerinnen und Bürgern, die außer Reihe geimpft wurden, handele sich laut Schreiber um Leute, „die nicht zur Prominenz von Bad Düben“ gehören.
Landratsamt prüft
Das Landratsamt in Nordsachsen als zuständige Kommunalaufsicht will das Vorgehen der Bad Dübener Bürgermeisterin jetzt prüfen. „Der Vorgang wird genauso behandelt wie der in Oschatz“, sagt Landkreissprecher Thomas Seidler. In Oschatz hatte sich Oberbürgermeister Andreas Kretschmar (parteilos) bereits zum Impfstart Ende des vergangenen Jahres gegen das Coronavirus außer der Reihe impfen lassen. Der Fall wurde vor ein paar Tagen bekannt.
Landrat will mit Münster reden
Landrat Kai Emanuel (parteilos) wolle nun „das direkte Gespräch“ mit Bad Dübens Bürgermeisterin suchen „und sich persönlich aus erster Hand informieren. Danach werden Kommunalamt und Rechtsamt prüfen, ob der Vorgang nicht nur eine moralische, sondern auch eine juristische Komponente hat. Nur wenn das der Fall wäre, könnte es rechtliche Konsequenzen haben. Auf den ersten Blick ist das nicht erkennbar“, so Seidler weiter. Vorschnelle Verurteilungen seien hier fehl am Platz. „Eine Landkreisverwaltung ist keine moralische Instanz.“ Der Landrat könne nur „immer wieder darauf hinweisen, dass die Priorisierungsliste von Bund und Land einzuhalten ist, ohne dabei selbst Einfluss auf das Impfgeschehen zu haben. Dieses liegt in Sachsen in den Händen des DRK“, betont Seidler.
Von Frank Pfütze und Nico Fliegner