„Hier sind die Menschen oft sehr allein“

Quelle: Mittwoch, 03.07.2024, LVZ Lokales Delitzsch-Eilenburg

„Hier sind die Menschen oft sehr allein“

Von Kathrin Kabelitz
 
Wie die Inderinnen Lintu Maria Thomas und Deepa Pulparambil Jose ihre Arbeit als Pflegekräfte in Delitzsch erleben
 
Delitzsch.
Wenn Deepa und Lintu auf den Straßen der Loberstadt unterwegs sind, hören die jungen Frauen in diesen Tagen ein Wort besonders ganz oft: „Hallo!“ Fast scheint es, als ob mittlerweile halb Delitzsch die beiden sympathischen Inderinnen kennt. Verwundern dürfte es nicht. Die beiden Frauen, die aus dem rund 15 Flugstunden entfernten Bundesstaat Kerala aus Südindien stammen, leben und arbeiten seit über einem Jahr in Deutschland, haben viel mit den Menschen der Stadt zu tun. Möglich gemacht hat dies das Programm „Triple Win“ zur Gewinnung von Fachkräften aus Drittstaaten.

 

Seit Mai 2023 unterstützten insgesamt 14 Pflegefachkräfte aus Indien die Unternehmensgruppe der Kreiskrankenhaus Delitzsch GmbH, der valere Seniorenpflege und Wohnen Delitzsch GmbH sowie der Sozial- und Beschäftigungszentrum Delitzsch gGmbH im Bereich der Pflege.

Gelernt haben Deepa und Lintu auf Station in der Klinik Delitzsch, derzeit absolvieren sie mehrere Wochen beim Pflegedienst der Arbeiterwohlfahrt Nordsachsen (AWO) in der Beerendorfer Straße. Wobei sich der Begriff „lernen“ in diesem Zusammenhang eigentlich ungewöhnlich anhört. Beide Frauen, 38 und 39 Jahre alt, haben in ihrem Heimatland eine mehrjährige Ausbildung absolviert und und schon einige Jahre Berufserfahrung sammeln können. Dennoch müssen sie hier in der Fremde die Anerkennung als Gesundheits- und Krankenpfleger ablegen, dafür noch einmal rund anderthalb Jahre Ausbildung absolvieren. Dazu gehört auch das Erlernen der deutschen Sprache, die beide Frauen schon gut beherrschen und verstehen.

„Sie lernen schnell, weil wir viel miteinander reden“

Tag für Tag sind sie mit ihren deutschen Kolleginnen des 18-köpfigen Pflegedienstes der AWO auf Tour, helfen beim Waschen, Umziehen und Pflegen der rund 100 Patientinnen und Patienten. „Sie lernen schnell, weil wir viel miteinander reden“, sagt Viola Wolfgramm. Die Pflegedienstleiterin räumt ein, dass es anfangs im Team auch einige Vorurteile gegeben habe. Das sei aber schnell geklärt worden. Die beiden Inderinnen überzeugten durch ihr freundliches Wesen, seien sehr engagiert und diszipliniert. „Sie haben unseren Pflegedienst in verschiedener Weise bereichert und auch die Patienten sind sehr zufrieden.“

Die Entscheidung, in die Ferne zu gehen, haben die beiden Frauen wegen der Lebens- und Arbeitsumstände in ihrem Heimatland, in dem rund 1,4 Milliarden Menschen leben, bewusst getroffen. Zahlen müssen sie dafür allerdings auch einen hohen Preis. Deepa hat drei Kinder (11, 9 und 2 Jahre), Lintu zwei Kinder im Alter von 5 bis 10 Jahren, die derzeit ohne die Mutter in der Nähe aufwachsen müssen. „Das ist bewundernswert, wie sie das machen“, zollt Viola Wolfgramm den beiden Respekt. „Wer aber die Lebensumstände in dem Land kennt“, verstehe die Entscheidung.

Dank Videotelefonie können die beiden Frauen eigentlich jeden Abend mit ihren Familien sprechen und so wenigstens ein bisschen am realen Leben in der Heimat partizipieren. Sie wissen, wofür sie all das tun, wissen aber auch, dass ihre Mädchen und Jungen in den oft sehr großen Familien gut aufgehoben sind. Der Zusammenhalt sei da, auch, wenn kranke Familienmitglieder gepflegt werden müssen. „Es ist immer jemand da, der helfen kann. Das ist anders als hier, wo die Menschen oft allein sind“, erzählt Deepa.

Mit Familien in Deutschland leben und arbeiten

Deepa, die mit einem IT-Fachmann verheiratet ist, und Lintu, deren Mann auch in der Pflegebranche arbeitet, wollen alsbald ihre Familien nachholen und sich in Deutschland ein neues Leben aufbauen. Die Berufsaussichten seien in Deutschland viel besser als in Indien, die Bildungschancen für sie und ihre Kinder größer und vielfältiger. Das Leben in der Kleinstadt gefällt ihnen, hier sei es nicht so laut und hektisch. Zu Fuß und per Rad haben sie in den vergangenen Monaten die Umgebung erkundet, Städtetrips nach Leipzig und Dresden unternommen. Nun hängt alles von ihrer Anerkennungsprüfung in rund zwei Monaten ab. Wenn sie die schaffen, wollen sie sich einen Job suchen, ihre Familien nach Deutschland holen und hier zusammenleben.

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