In der Schuldenfalle: Verbraucher müssen länger auf Beratung warten

Quelle: LVZ, 07.12.2021

In der Schuldenfalle: Verbraucher müssen länger auf Beratung warten

Von Roland Herold

Die wirtschaftlichen Einbrüche wegen der Corona-Pandemie führen dazu, dass mehr Verbraucherinnen und Verbraucher in Sachsen Privatinsolvenz anmelden. Es gibt aber auch noch einen anderen Grund.

Die Nachfrage bei den Schuldnerberatungen ist im vergangenen Jahr rapide angewachsen.

Steigende Energie- und Benzinpreise, wirtschaftliche Unsicherheit, teure Lebensmittel – in Sachsen steigt die Zahl der Verbraucher, die eine Privatinsolvenz anmelden, weiter an. Während viele Firmen durch staatliche Unterstützungen mehr oder weniger glimpflich durch die Pandemie gekommen sind, trifft es private Verbraucherinnen und Verbraucher, die finanziell nicht so flexibel sind, nun mit voller Härte.

Bis einschließlich drittes Quartal wurden im Freistaat nach Angaben des Statistischen Landesamtes (StaLA) 2901 derartige Verfahren gemeldet. Das ist ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr um etwa zwei Drittel. Insgesamt betrugen die Forderungen knapp 200 Millionen Euro.

Neues Gesetz erleichtert Restschuldbefreiung

Allerdings gibt es noch einen anderen Grund, dass die Zahl der Privatinsolvenzen stark ansteigt. Seit 1. Oktober vergangenen Jahres ist das Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens in Kraft. Die Restschuldbefreiungsverfahren werden dadurch von durchschnittlich sechs auf drei Jahre reduziert.

Damit soll überschuldeten Unternehmerinnen und Unternehmern sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern ein schnellerer Neuanfang ermöglicht werden. Betroffene können dadurch schneller wieder aktiv am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilhaben. Wer konnte, hat sein Verfahren deshalb bewusst hinausgezögert.

„Wartelisten werden immer länger“

Liegt der Anstieg also mehr an den Folgen der Corona-Pandemie oder am neuen Gesetz? „An beidem“, so Sprecherin Sigrid Winkler-Schwarz vom Diakonischen Werk Sachsen. „Die Wartelisten werden jedenfalls immer länger.“ Betroffene müssten jetzt schon zwischen einen viertel und einem halben Jahr auf eine Beratung warten. „Dabei geht es ja hier um Probleme, die eigentlich keinen Aufschub dulden. Der Beratungsbedarf nimmt extrem zu.“ Dennoch würden die Kapazitäten nicht ausgeweitet. Eigentlich müssten die Kommunen das derzeitige Angebot der Beratungsstellen vervierfachen, schätzt Winkler-Schwarz.

„Es betrifft ja auch Leute, die niemals gedacht hätten, dass sie jemals eine Schuldnerberatungsstelle in Anspruch nehmen müssen.“ Die ständige Sorge ums Geld mache außerdem krank und verursache bei den Betroffenen zusätzlich psychische Probleme, sagt die Diakonie-Sprecherin.

Paradoxe Situationen

Für den Paritätischen Wohlfahrtsverband Sachsen bestätigt Sprecher Thomas Neumann, dass Nachfrage und Wartezeiten auf Schuldnerberatungen anstiegen. „Es gab ja schon vor Corona Wartezeiten von mehreren Wochen, was natürlich in einer Verschuldungssituation verheerend sein kann.“ Der Ausbau der bestehenden Strukturen sei deshalb „definitiv angezeigt“.

Die Finanzierung erfolge über zwei Wege: Es gebe die soziale Schuldnerberatung, die über die Kommunen finanziert wird, während die Insolvenzberatung vom Land übernommen werde. Das führe zu solch paradoxen Situationen, dass Leute in die Schuldnerberatung kämen, bei denen festgestellt wird, dass es eigentlich schon zu spät ist. Der Träger habe dann aber gar keine Lizenz, um über eine Privatinsolvenz zu beraten. Dann müsse der Betroffene alles in einer anderen Beratungsstelle noch einmal erzählen.

Mit Anstieg wird gerechnet

Laut Sprecherin Ulrike Novy rechnen die Schuldnerberatungsstellen der Arbeiterwohlfahrt Sachsen mit einem weiteren deutlichen Anstieg der Nachfragen in den kommenden Wochen. „Die Schuldnerberatungsstellen sind bereits jetzt extrem ausgelastet – mit Wartezeiten von oft mehreren Wochen“, so Novy.

Auch bei der Verbraucherzentrale Sachsen gehen mehr Anfragen ein. Leiter Thomas Griebel sagt: „Es ist vor allem die Veränderung der gesetzlichen Situation zur Restschuldbefreiung wegen der sich Leute bei uns melden.“ Letztendlich sei das der entscheidende Grund. Die Pandemie-Problematik werde sich wohl erst mit zeitlicher Verzögerung zeigen. Viele Arbeitnehmer seien dadurch im Niedriglohnsektor gelandet. Gleichzeitig erinnert Griebel aber auch: „Allerdings muss man hier sagen, dass die enormen staatlichen Maßnahmen durchaus ihre Wirkung entfaltet haben.“

Linke fordert solidarischen Sozial-Fonds

Für die Linksfraktion im sächsischen Landtag reicht das allerdings noch nicht aus. „Die Linksfraktion hat bereits mit mehreren parlamentarischen Initiativen auf Landes- und Bundesebene darauf hingewirkt, dass niemand durch die Corona-Schutzmaßnahmen in eine persönliche finanzielle Schieflage gerät“, erinnert deren Chef Rico Gebhardt. Es dürften nicht diejenigen die Krise bezahlen, die so schon am meisten unter den Einschränkungen zu leiden haben.

Der haushalts- und finanzpolitische Sprecher der Fraktion, Nico Brünler, schlug deshalb die Auflage eines solidarischen Sozial-Fonds von einer Milliarde Euro vor, um die sozialen Kosten und Folgelasten auszugleichen und denjenigen gezielt zu helfen, die am meisten unter der Krise leiden – darunter existenzbedrohten Einzelunternehmerinnen und Einzelunternehmern sowie klein- und mittelständischen Unternehmen.

 

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