Kolleginnen vom Delitzscher Pflegedienst lehnen Applaus ab

Quelle: LVZ, Delitzsch-Eilenburg, 29.09.2020, Heike Liesaus

Mit Applaus und der Bezeichnung „systemrelevant“ können die Kolleginnen vom Delitzscher Awo-Pflegedienst wenig anfangen. Sie wollen lieber eher echte Mitstreiter. Sie machen sich ihre Gedanken, warum so wenige den Pflegeberuf ergreifen.

Das Angebot „Wir bilden aus“ fährt mit, wenn Viola Wolfgramm und ihre Kolleginnen vom Awo-Pflegedienst Delitzsch in ihren Dienstautos unterwegs sind. Sie mögen ihren Beruf. Sie wissen, was sie können und dass sie gebraucht werden. Und wenn sie vorm Haus fürs Foto posieren, ist zu merken: Sie sind keine Kinder von Traurigkeit.

Aber wenn Pflegedienstleiterin Viola Wolfgramm nach der AWO-betriebenen Senioren-Begegnungsstätte gefragt wird, in der sich nach der corona-bedingten Schließung wieder einige Senioren treffen dürfen, hakt sie schnell nach: Da sind andere Probleme, über die mal geredet werden sollte. „Das betrifft nicht nur uns, sondern sicher alle Pflegedienste.“ Dass die Arbeit der Branche in den vergangenen Monaten als „systemrelevant“ eingestuft wurde, ist das eine, das tatsächliche Image das andere. „Es nützt uns nichts, wenn von Balkonen applaudiert wird: Wir brauchen Menschen, die mit uns arbeiten.“

Image-Problem

Doch es gibt zu wenige, die sich für den Pflegeberuf entscheiden. Viola Wolfgramm sieht da unter anderem ein Image-Problem. Sie erinnert, dass sie 1975 zum ersten Jahrgang zu DDR-Zeiten gehörte, der nach einem dreijährigen Fachschulstudium als examinierte Krankenschwester abschloss. Ob dagegen die neue generalisierte Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger mehr Schulabgängerinnen anzieht, scheint ihr fraglich. „Dabei gibt es viele Verbesserungen in puncto Arbeitsbedingungen“, unterstreicht Kollegin Sigrid Gottschalk. Auch bei der häuslichen Krankenpflege werden heutzutage Hilfsmittel wie Krankenbetten eingesetzt, die den Rücken schonen.

Idealismus hilft nicht

Sie betonen, dass sie ihre Arbeit immer wieder gerne tun. Aber Idealismus helfe nicht allein durch ein Berufsleben. Ob jemand bleibt, entscheide am Ende die Bezahlung und der Dienstplan. Heißt: der Wechsel von Arbeit und Freizeit, die berühmte Work-Life-Balance. Das bedeutet auch, dass Pflegedienste oft Betreuungsanfragen ablehnen müssen. Denn wenn die Kapazitäten erschöpft und die Touren voll sind, geht nichts mehr. „Wobei wir untereinander alle auch in der Freizeit erreichbar sind“, merkt Viola Wolfgramm an. Zum anderen gibt es auch so jeden Tag irgendwelche Ausnahmesituationen, die bewältigt werden müssen. Muss der Notdienst gerufen werden, weil es einem Patienten extrem schlecht geht, kommt die Pflegeschwester beim nächsten später an.

Mehr Kraft für die Pflege als für Kontrollen

Aber letztlich werde viel Geld und Personal an Stellen verwendet, die die Lage der Patienten nicht verbessern: Qualitätsmanagement muss sein, Kontrolle auch, so Viola Wolfgramm. Aber letztlich bringe dem Patienten jemand mehr, der ihm ein Wasser reicht, als jemand, der kontrolliert, ob Kreuze für die regelmäßige Versorgung mit Flüssigkeit korrekt in einer Liste gesetzt sind. Abgesehen davon, dass die viele Bürokratie zusätzlich Pflegezeit frisst.

Ja, und die Awo-Begegnungsstätte könnte eine ehrenamtliche Hilfe brauchen. Jemand, der die Hauswirtschafterin etwas unterstützt.

Awo-Pflegedienst Delitzsch, Telefon: 034202 962504.

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