Ohne Schwester Katrin und ihre vielen Kolleginnen kommen viele betagte Menschen nicht in den Tag. Die LVZ durfte die 50-jährige Pflegerin nun auf ihrer Morgentour begleiten – auch weil sie und ihre Awo-Kolleginnen zeigen wollen, dass ihr Beruf ein besseres Image verdient hat.
Delitzsch
Es ist noch sehr dunkel um 5.50 Uhr, aber längst brennt Licht in der Zentrale des Pflegedienstes der Awo an der Dübener Straße in Delitzsch. Einige Kolleginnen unterhalten sich noch vorm Eingang. Katrin Lehmann gehört dazu. Die 50-Jährige scheint schon morgens gut gelaunt. Sie ist gerade mit dem Rad angekommen, wie jeden Tag. Sport ist ihr wichtig, gerade wenn sie wegen des Lockdowns nicht wie sonst zwei Mal die Woche ins Fitness-Studio kann. Nun bereitet sie erst einmal die Tour vor, auf der sie heute ein Stück von der LVZ begleitet wird.
6 Uhr: Katrin Lehmann zeigt einen dicken Karabiner-Haken vor. Acht Schlüssel hängen dran. Sie gehören zu den Wohnungen der Patienten. Das ist wenig. Eine normale Morgentour hat meist 10 bis 15 Stationen. Der Spätdienst hat noch mehr. Die meisten Patienten sind zwar morgens zu versorgen. In den Nachmittags- und Abendstunden gibt es dann aber weniger Touren. Die Kolleginnen, die dann unterwegs sind, haben keine Patienten am Morgen zu versorgen. „Wir haben es geschafft, die regulären Teildienste abzuschaffen“, erzählt Pflegedienstleiterin Viola Wolfgramm. Dass jemand morgens und abends mit Freizeit dazwischen dienstlich unterwegs ist, kommt nun nur noch vor, wenn jemand krank wird, oder an Feiertagen. Es sei wichtig, dass die Mitarbeitenden ihre Erholungszeiten haben: „Wenn der Monat acht freie Tage hat, bekommen sie acht Tage frei. Und auch für sie gibt es nur fünf Tage mit Dienst am Stück. Und wenn 30 Tage Urlaub im Arbeitsvertrag stehen, müssen die auch garantiert sein. Es nutzt nichts, die Gesundheit der Kolleginnen aufs Spiel zu setzen“, umreißt Viola Wolfgramm eine ihrer wichtigsten Aufgaben in der Teamleitung.
Für einige Patienten sind Medikamente einzupacken. Meist ist das der Fall, wenn sie allein nicht mehr in der Lage sind, sie zu dosieren, oder vergessen würden, sie zu nehmen. Dann müssen die Pflegerinnen auch im Blick behalten, wenn ein Medikament ausgeht, es beim Arzt oder der Ärztin nachbestellen. Das ist bei manchen der Mediziner gar nicht einfach. „Man braucht auch ein bisschen Durchsetzungsvermögen in unserem Beruf“, stellt die Pflegedienst-Chefin fest.
6.20 Uhr: Start. Schwester Katrin lässt den in den Awo-Farben rot-weiß lackierten Ford Ka an. Die erste Station ist gar nicht so weit entfernt. Eine 56-jährige Patientin ist als erste an der Reihe. Wir haben uns wegen der Reporterfragen einige Minuten verspätet, aber das ist diesmal nicht so schlimm. Sonst holt sie der Fahrdienst für die Arbeitsstunden in der Behindertenwerkstatt ab. Diese ist im Lockdown geschlossen. Die Patientin braucht die Hilfe beim Anziehen der Kompressionsstrümpfe. Die helfen, wenn das Herz nicht mehr so gut funktioniert. Sie verhindern, dass Wasser in den Beinen versackt, befördern, dass der Körper mit Sauerstoff versorgt wird. Aber sie sitzen so eng, dass die Patienten sie nicht allein überziehen können.
Blutdruck kontrollieren
6.45 Uhr: So ist es auch bei dem älteren Mann, der im Wohnzimmer auf dem Sofa wartet. Ihm gegenüber die mit vielen Familienbildern dekorierte Schrankwand. Der Blutdruck ist auch zu kontrollieren. Er hat früher mal bei der Polizei gearbeitet und ist immer noch gedanklich engagiert. Er ärgert sich über einen Kriminalfall, den er im Fernsehen gesehen hat: „Ach, ich konnte doch nicht helfen.“ Für viele ist Katrin Lehmann die erste am Tag, die ihnen Guten Morgen wünscht. „Ach, reden Sie weiter. Ich finde Ihre Stimme so schön“, schwärmt der 85-Jährige.
7.10 Uhr: Der nächste Patient ist drei Jahre älter. Auch er hat seine Frau verloren. Eine Kollegin vom Awo-Dienst macht gerade das Frühstück zurecht. Schwester Katrin misst den Blutzucker, setzt die Insulinspritze. Es ist effizienter, medizinische und hauswirtschaftliche Aufgaben aufzuteilen, erklärt sie.
Maske ist in Corona-Zeiten selbstverständlich
7.30 Uhr: Eine Patientin mit psychischen Problemen ist ebenfalls in dem Altneubaugebiet zu versorgen. Treppauf, treppab geht es mit Maske. „Das ist jetzt einfach selbstverständlich“, sagt Katrin Lehmann. „Aber es ist schlimm zu sehen, dass gerade in solchen Fällen oft die wichtige Kommunikation mit dem Facharzt wegbricht.“ Auch Selbsthilfegruppen, die vielen sonst wichtige Stütze sind, konnten schon über lange Zeit nicht besucht werden.
8 Uhr: Auch dieses ältere Paar wartet schon im Wohnzimmer, der Fernseher läuft. Die Frau muss wegen starker Schmerzen versorgt werden. Die einzelnen Stationen, die Schwester Katrin anfährt, stehen in ihrem Diensthandy. Die Route und die Aufgabenliste sind damit immer dabei. Im Zweifel könnte man sich über dieses System auch navigieren lassen, aber das braucht sie nicht. Sie ist eine der Dienstältesten im Team. Seit 29 Jahren ist die gelernte Krankenschwester schon dabei. Mit der App auf dem Handy registrieren die Mitarbeiterinnen, wann und wie lang sie bei den Patienten waren, müssen nur anklicken, was erledigt wurde. „Das ist besser als vorher, als alles in die Abrechnungsbögen eingetragen werden musste.“
8.30 Uhr: Brigitte Herfurt hat früher zu DDR-Zeiten selbst bei der Pflege der Volkssolidarität gearbeitet. „Es wussten nicht viele, dass es das gab“, erzählt die 67-Jährige. „Mir hat die Arbeit Spaß gemacht.“ Nun ist sie selbst auf Hilfe angewiesen und weiß um die Anforderungen. Schwester Katrin erinnert sich auch noch ein bisschen an ihre ersten Jahre im Beruf. „Heute sind die Bedingungen schon anders“, stellt sie fest. Vieles heute selbstverständliches Hygienematerial gab es damals nicht. Auch sie möchte ihren Beruf nicht missen. Selbst bei höheren Pflegegraden sei die Arbeit nahe am Patienten nicht das Problem. Die Ausbildung bringt sie mit. Und an Material mangelt es normalweise auch nicht. „Es ist eher die Zeit, die fehlt.“
Offene Fragen beim Impfen
8.45 Uhr: „Wie war’s denn im Urlaub?“, fragt die 98-Jährige, die jetzt besucht wird. Sie wohnt mit ihrer inzwischen schon ebenfalls betagten Tochter in einem Haus. „Schnee lag, aber man konnte nicht hin“, erzählt die Krankenpflegerin lachend. Die alte Dame klagt über den Verkehrslärm, der von der Straße hereindringt. „Aber ein bisschen Lüften muss man schon“, sind sich die beiden einig.
9.05 Uhr: Marianne Körber hat Fragen: Wie sieht es aus mit dem Impfen gegen Corona? Das kann ihr Schwester Katrin auch nicht beantworten. Die Tochter hat die Seniorin schon angemeldet. Und wann könnte es wieder zur Fußpflege gehen? Wer nicht mit Rezept vom Arzt zum Podologen kann, bleibt seinen Beschwerden überlassen. Aber Hilfe beim Putzen gibt es nun wieder über die Awo. Diese war in der Hochzeit der Infektionen auf die dringendsten Fälle beschränkt worden, um die Risiken zu mindern.
9.45 Uhr: Pause in der Pflegedienstzentrale. Schwester Katrin ist bereits zu weiteren Stationen aufgebrochen. Leiterin Viola Wolfgramm erzählt vom schmalen Grat zwischen Zuwendung und Ökonomie. Bis zu drei medizinische Leistungen, die am Patienten zuhause erbracht werden, werden von den Krankenkassen mit 7,95 Euro entgolten. Kommt eine vierte dazu, wird ein Euro mehr gezahlt. Die Folge: Für diejenigen, die weitab auf dem Land wohnen, kann es schwer werden, einen Dienst zu finden, der diese Leistungen ausführt. Der Delitzscher Awo-Dienst ist nur im Stadtgebiet und in nahen Ortsteilen unterwegs. Mehr geht nicht. So müssen bei Anfragen immer wieder Absagen erteilt werden. Aktuell versorgen 23 Mitarbeiterinnen, inklusive Bürokraft und Leitung, circa 60 Patienten.
Auch einen Corona-Fall gab es schon
Aktuell gibt es keine Corona-Fälle im Patientenkreis. Aber zum Jahreswechsel war eine Beerendorferin, die vom Pflegedienst versorgt wird, betroffen. Das hieß für die Mitarbeiterinnen: Schutzkleidung anziehen, bevor sie sich der Behandlung widmeten. In dem Falle musste das im Auto passieren. Außerdem wurde versucht, den Besuch jeweils ans Ende einer Tour zu verlegen.
Auch der zwischenzeitliche Wintereinbruch sorgte für zusätzliche Belastungen. „Bei meinem Bäcker gab es halt nur Brötchen und kein Brot“, erzählt Viola Wolfgramm. „Wenn wir etwas weglassen würden, kämen einige Menschen in arge Probleme.“ Doch sie freut sich auch, dass es im Team funktionierte. Kolleginnen im Frei gingen schnell zu Patienten in der Nachbarschaft, damit andere ihre Tour etwas abkürzen konnten. „Das Parken war das Schlimmste. Aber die Leute waren wirklich nett. Besonders die zwei jungen Männer, die der Kollegin halfen, deren Auto im Schnee feststeckte, nachdem der Schneepflug vorbeigekommen war.“
Von Heike Liesaus